Christiane Brandes-Visbeck und Ines Gensinger gehen in ihrem Buch den Fragen nach, ob die heutige Führungskraft noch auf alles eine Antwort haben muss, wie sie Unsicherheiten aushalten kann und ob es überhaupt noch eine Führungskraft im klassischen Sinne braucht. Sie beschreiben ein Führungsmodell – „Digital Leadership“ – mit dem es gelingen kann, seine Mitarbeiter während und nach der digitalen Transformation zu führen.
Der „Digital Leader“ stellt die Brücke von der klassischen Hierarchie zur Netzwerkorganisation dar. Er kennt das Alte und ist offen für das Neue, er stellt Bewährtes auf den Prüfstand und gleicht es mit allem ab, was ihn umgibt – mit den neuen technischen Entwicklungen, den Impulsen aus seinem Netzwerk und mit dem, was Markt und Mitarbeiter von ihm erwarten.
Dem Leser wird schnell klar, dass es das eine, richtige „Digital Leadership“-Modell nicht gibt. Jedes Unternehmen und jede Führungskraft definiert diese für sich selbst. Die Autorinnen bieten dafür eine Canvas an. Dies ist ein Analysetool, das zur Selbstreflexion genutzt werden kann, um seinen eigenen Führungsstil entsprechend dem „Digital Leadership“-Modell zu entwickeln.
Sie beschreiben auch einmal mehr, dass gute – und der heutigen Zeit angemessene – Führung bestimmt wird durch die richtige Haltung und das richtige Mindset. Sie meinen damit Herzlichkeit, Menschlichkeit, Empathie, Respekt und das Vertrauen in die Mitarbeiter und Kollegen, dass diese im Sinne des Unternehmens stets richtig handeln. Darüber hinaus ist die Führungskraft innovativ, disruptiv, mutig, sozial kompetent und vor allem entschlossen.
Um innovativ zu sein, sollten Führungskräfte in die digitale Zukunft schauen, Querdenken und die richtigen Fragen zulassen. Dieses Vorgehen ist ein Element von Effectuation: handeln ohne zu wissen, ob das Neue funktioniert, in der Gewissheit, dass die Ressourcen vorhanden und mögliche Verluste verschmerzbar sind.
Disruptiv bedeutet, Bewährtes stets in Frage zu stellen und durch Neues zu ersetzen, wenn es den Zweck nicht mehr oder nicht mehr ausreichend erfüllt. Dies bezieht sich auf Produkte und Dienstleistungen genauso wie auf Prozesse, Stellenbeschreibungen und jede Form der Zusammenarbeit.
Innovativ und disruptiv zu sein, erfordert gleichermaßen Mut und Entschlossenheit. Mut meint im Führungskontext aber auch, Konflikte auszuhalten, unterschiedliche Rollen einzunehmen und sich bei Bedarf auch selbst führen zu lassen, sobald man spürt, dass andere im Team im Moment besser wissen, wo es langgehen soll.
Soziale Kompetenz bedeutet, jegliche Unterschiede im menschlichen Sein zuzulassen. Zu erkennen, welche Person oder welches Team für bestimmte Aufgaben am besten geeignet ist und sie zu motivieren, zum unternehmerischen Erfolg beizutragen.
Ein „Digital Leader“, der keine legitimierte Macht der Hierarchie mehr besitzt, führt lateral und ist im Unternehmen so gut vernetzt, dass er in und außerhalb des eigenen Unternehmens ausreichend Unterstützung findet, um seine mutigen Ideen auch umsetzen zu können. Er funktioniert wie ein Hub, ein Knotenpunkt in einem Netzwerk aus Unterstützern und einem hervorragenden Team, das ihm gerne folgt.
Der Begriff Hub kommt aus der Netzwerktechnik und bezeichnet einen Knotenpunkt, der mit vielen Schnittstellen und weiteren Hubs verbunden ist. Manche Hubs funktionieren besser als andere, weil sie mehr Verbindungen haben.
Im Führungskontext bedeutet dies, dass derjenige erfolgreich ist, der sich über alle Hierarchieebenen hinaus mit allen Menschen vernetzt, die etwas bewegen und das Unternehmen voranbringen wollen und können – angespornt von der Einsicht, dass man nicht alle Probleme allein lösen kann und von der Bereitschaft, alle Herausforderungen gemeinsam mit Kollegen, Mitarbeitern, Kunden, Dienstleistern und anderen Verbündeten anzugehen.
Die Eigenschaften, die eine Führungskraft dafür benötigt, liegen auf der Hand – offen kommunizieren und gut zuhören können. Die Führungskraft ist demnach nicht nur innovativ, disruptiv und mutig, sondern auch sehr gut vernetzt.
Führung im digitalen Umfeld erfordert vor allem Geduld, Zeit und Energie – und, wenn man Veränderungen nachhaltig vorantreiben möchte, auch einen gewissen Willen zum Erfolg.
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