Wer kennt es nicht? Man erhält eine E-Mail, die entweder offensichtlich als dringend gekennzeichnet wird, oder im persönlichen Gespräch wird ein Thema mit dem Prädikat „dringend“ versehen. „Du, es wär’ schon sehr dringend, dass…“

Aber was hat es mit „echter“ Dringlichkeit auf sich?

John P. Kotter kommt nach jahrelanger Berater- und Managementerfahrung zu dem Schluss, die Bereitschaft, das Gespür und die tatsächliche Aktion des Handelns in dem Begriff „Dringlichkeit“ zu vereinen und mit diesem das auf den Punkt zu bringen, was in seinen Augen und nach seiner Erfahrung viele Unternehmen erfolgreich gemacht hat oder machen wird.

Er geht sogar so weit, Organisationen, welchen diese Eigenschaft fehlt, einen andauernden Erfolg abzusprechen. Er nennt auch die zwei größten Gegner: Selbstgefälligkeit und blinder Aktionismus. Das Bewusstsein, das Entwicklung andauernd stattfindet, noch viel mehr in unserer oft zitierten schnelllebigen Zeit, ist ein erster Schritt zu eben genannter Dringlichkeit, dieser auch begegnen zu können.

Die Gefahr der Selbstgefälligkeit ist dabei genauso allgegenwärtig wie die Entwicklung. Oft wird die Selbstgefälligkeit mit hektischen Aktivitäten, die nicht zum Unternehmenserfolg beitragen, aber wichtig aussehen oder sich auch wichtig anfühlen, übertüncht. Die dabei entstehende Hektik und die dabei verlorengegangene Zeit sind nicht zielführend. Ganz im Gegenteil, denn tatsächliche Dringlichkeit definiert Kotter wie folgt:

„Dringlichkeit heißt, es ist notwendig, eine Angelegenheit höchster Priorität kurzfristig zu erledigen.“[1]

Für diesen erstrebenswerten Grundwert einer Organisation (hier geht es sowohl um Individuen, als auch um Gruppen oder Teams) nennt Kotter einen gewissen Ablauf, der sich in drei Phasen mit 8 Schritten unterteilen lässt:

(1 bis 3) zuerst das Schaffen eines Klimas für Veränderungen

(4-6) die Aktivierung und die Einbindung aller Beteiligten und auch jener, die sich nicht als Beteiligte bisher gefühlt haben

(7-8) den vollzogenen Wandel oder das erreichte Ziel dauerhaft zu festigen.

Auch dieses Modell kann nicht als statisch betrachtet werden, nach Kotters Begriff der Dringlichkeit fängt sie dort an, wo die Dringlichkeit droht aufzuhören.

  1. Dringlichkeit muss geweckt, gepflegt und entwickelt werden. Während die Selbstgefälligkeit von selbst kommt, muss die Dringlichkeit erarbeitet werden. Sinkende Dringlichkeit stellt sich mit der Zeit ein, die Lösung liegt auf der Hand: Dieser Entwicklung muss Dringlichkeit gegenübergestellt werden. Nach dem Motto „Spare in der Zeit, so hast du in der Not“, muss auf dieses sich mit Sicherheit einstellende Ereignis vorgearbeitet werden. Die Überzeugung zu vermitteln, dass Dringlichkeit auch angebracht ist, kann mitunter ein Stolperstein sein, da Ängste, Zurückhalten und Selbstgefälligkeit als „restraining forces“ wirken können.
  2. Die Zusammenstellung eines Führungsteams soll auch durch schwierige und kontroverse Zeiten führen. Verweigerer nennt Kotter, wie schon in seinem Buch „Das Pinguin-Prinzip“, „NoNos“ – derer man sich entweder durch Ablenkung oder durch Verabschiedung entledigen muss.
  3. Strategien und Zielvorstellungen sollen erarbeitet und auch so präsentiert bzw. vorgeführt werden, dass die Beteiligten emotional abgeholt werden und sich voll und ganz mit der Aufgabe und dem Ziel identifizieren. Effektive Visionen sind für ihn vorstellbar, erstrebenswert, machbar, fokussiert, flexibel und leicht zu vermitteln.
  4. Eine Identifikation mit den eben angeführten Strategien ist nur durch immer weiter geführte Kommunikation möglich. Diese Phase wird oft unterschätzt, da sie sehr zeitaufwändig ist und einen immer wieder dazu auffordert, bereits Gesagtes oder vermeintlich Vermitteltes zu wiederholen. Wird diese Phase aber ausführlich bearbeitet, erkennen die Akteur*innen ihre Rolle im Prozess und beteiligen sich aktiv.
  5. Allen Teammitgliedern muss ausreichend Handlungsfreiraum gewährt werden, um Hindernisse aus dem Weg räumen zu können. Hier offenbaren sich Schwierigkeiten, die vorher so nicht erkannt wurden, sondern erst jetzt durch die tatsächliche Beteiligung der Akteure sichtbar werden. So gilt es, strukturelle Mängel, aber auch jene der einzelnen Fähigkeiten auszumerzen, in Form unterschiedlicher Interventionen. Als besonders gefährlich sieht Kotter schlechte Chefs, die notwendigen Wandel unterbinden.
  6. Gleich zu Beginn müssen sichtbare Erfolge gezeigt und gefeiert werden, um die Motivation und das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, denn
  7. Selbstgefälligkeit stellt sich meist auch recht schnell ein und darf nicht aufgrund der ersten Erfolge Einzug halten.
  8. Veränderungen müssen am Ende in der Kultur verankert werden. Es werden sich vor allem Verhaltensänderungen bemerkbar machen, da diese zu der eigentlichen Zielerreichung führen. Neue Teams können sich so bilden oder einzelne Akteur*innen aus dem Unternehmen ausscheiden.

Drei Schritte sieht J. P. Kotter als relevant an:

  • see: Man muss mit größter Anstrengung und radikaler Deutlichkeit auf das Problem, die Entwicklung hinweisen.
  • feel: Mit Emotionen können MitarbeiterInnen aufmerksam gemacht und motiviert werden, das jeweilige Projekt auch tatsächlich zu einem Abschluss zu bringen.
  • change: Dadurch werden schließlich Verhaltensveränderungen eintreten, die damit das Problem lösen.

Die Gefahr der Selbstgefälligkeit immer vor Augen, geben Kotters Beobachtung zufolge viele Organisationen auf, entweder aufgrund zu früh gefeierter Erfolge oder weil das Ziel aus den Augen verloren wird.

Gelingt es hingegen, alle Beteiligten mit ins Boot zu holen, in ihnen Dringlichkeit zu wecken und zu fördern, wird das tatsächliche Ziel konsequent verfolgt und auch erreicht.


[1] Kotter, J. (2009): Das Prinzip Dringlichkeit. Schnell und konsequent handeln im Management. S.20.

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