Zusammenarbeit wird immer dann besonders herausfordernd, wenn die beteiligten Personen unterschiedliche Ziele verfolgen. Ein Bereich, in dem genau das in Unternehmen immer wieder vorkommt, ist die Schnittstelle zwischen Vertrieb und (Projekt-) Umsetzung. Häufig konnte ich hier beobachten, dass in Organisationen – bewusst als auch unbewusst – Rahmenbedingungen mit widersprüchlichen Zielen geschaffen wurden.
Ein Beispiel – Lösungsvertrieb
Sehen wir uns einmal ein Beispiel genauer an. Es handelt sich dabei um ein IT-Unternehmen mittlerer Größe. Das Kerngeschäft sind IT-Lösungen, die aus Standardkomponenten gemäß den Kundenanforderungen zusammengesetzt werden. Das Unternehmen ist projektorientiert aufgestellt. Eine wichtige Kennzahl im Unternehmen ist die Projektmarge, d. h. der Gewinnbeitrag eines einzelnen Projekts. Die Projektkosten setzen sich immer aus einem Produktanteil (die Kosten für die Standardkomponenten) und einem Dienstleistungsanteil zusammen (z. B. für die Inbetriebnahme oder die kundespezifische Anpassung der Standardkomponenten). Während die Produktkosten sehr einfach kalkulierbar sind, ist beim Dienstleistungsanteil das Gegenteil der Fall.
Gemeinsam an einem Strang ziehen?
Die Zielsetzung im Vertrieb ist sehr klar: Verkaufen! Die Mitarbeiter im Vertrieb sind stark incentiviert, d. h. ihr Gehalt ist zu rund 50% vom individuellen Verkaufserfolg (Umsatz) abhängig.
Die Mitarbeiter in der Projektumsetzung sind zwar ebenfalls incentiviert, der variable Gehaltsanteil ist aber mit ca. 10% wesentlich geringer. Das liegt daran, dass in der Umsetzung meistens mehrere Mitarbeiter beteiligt sind und der individuelle Anteil am Projekterfolg wesentlich schwerer zu messen ist, als im Vertrieb. Die wichtigste Kennzahl für die Abteilung Projektumsetzung ist die Projektmarge – und damit die Einhaltung der kalkulierten Kosten des Dienstleistungsanteils – also der Kosten, die bei Auftragserteilung kalkuliert wurden.
Sie werden sich jetzt vielleicht fragen: Alles klar – aber wo ist da der Widerspruch in der Zielsetzung? Nun – für den Vertrieb ist natürlich eines der wichtigsten Verkaufsargumente der Preis. Und dieser hängt zu einem großen Teil vom Dienstleistungsanteil ab – also der Summe der kalkulierten Stunden.
Und genau hier findet man die gegensätzliche Zielsetzung: Der Vertrieb hat das Ziel, viel zu verkaufen – und dazu braucht er niedrige Preise. Die Projektumsetzung hat das Ziel, die kalkulierten Kosten einzuhalten – deshalb werden bei der Kalkulation Projektrisken mit Aufschlägen berücksichtigt, die den Preis in die Höhe treiben. Insbesondere komplexe, herausfordernden Lösungen haben oft ein sehr hohes Risiko – z. B. wenn neue Produkte eingesetzt werden, mit denen die Mitarbeiter noch wenig Erfahrung haben.
Dieses Spiel hat natürliche Grenzen: Werden zu hohe Risikoaufschläge einkalkuliert, wird der Preis zu hoch und der Kunde kauft nicht (oder woanders). Werden keine oder zu niedrige Risikoaufschläge kalkuliert, und die Umsetzung ist aufwändiger als geplant, rutscht das Projekt schnell in die Verlustzone.
Organisationsdynamik
Diese Rahmenbedingungen haben im von mir beschriebenen Unternehmen zu einer subtilen „Feindschaft“ zwischen Vertrieb und Projektumsetzung geführt, die sich über viele Jahre entwickelt hat. Einige Zitate, die ich im Unternehmen immer wieder gehört habe:
Aussagen von Mitarbeitern im Vertrieb in Richtung Projektumsetzung:
- „Wenn ihr so lange für die Umsetzung braucht, kann ich überhaupt nichts mehr verkaufen.“
- „Den letzten Auftrag haben wir an den Konkurrenten XYZ verloren, weil die Projektumsetzer dort viel besser sind als ihr.“
- „Weil ihr in der Projektumsetzung so unflexibel seid, erreiche ich meine Verkaufsziele nicht und verdiene 30% weniger als letztes Jahr.“
Aussagen von Mitarbeitern in der Projektumsetzung in Richtung Vertrieb:
- „Die Vertriebler haben nur die Maximierung ihres Gehalts im Sinn und nicht, was das Beste für’s Unternehmen ist.“
- „Hauptsache verkauft und über den Zaun geworfen – wenn wir uns dabei umbringen, ist Euch das egal.“
- „Ihr sagt dem Kunden das, was er hören will, anstatt ihn gut zu beraten und ihm das zu verkaufen, was er wirklich braucht. In der Umsetzung ist er dann nicht mit dem, was er bekommt, nicht zufrieden.“
Diese Liste könnte man endlos weiterführen. Die einzelnen Sichtweisen sind auch alle verständlich und nachvollziehbar. Die fachliche und persönliche Zusammenarbeit war äußerst schlecht und geprägt von „Tricks“, um seine eigene Position zu verbessern und gleichzeitig dabei gut für das Management auszusehen. Das hatte natürlich auch massive Auswirkungen auf die Kunden. Oft wurde der Kunde sogar von einer Seite instrumentalisiert, um „den Anderen eines auszuwischen“.
Agile Transformation
Die Situation änderte sich, als ein neuer Geschäftsführer ins Unternehmen kam und schnell die Problematik erkannte. Es wurde ein Transformationsprojekt aufgesetzt mit dem Ziel, die Projektqualität und Kundenzufriedenheit zu erhöhen. Schnell war die mangelhafte Zusammenarbeit zwischen Vertrieb und Projektumsetzung als einer der größten Hebel dafür identifiziert.
In einer Reihe von Workshops wurde die Vergangenheit aufgearbeitet und neue interne Prozesse unter Einbeziehung aller Beteiligten entwickelt, die sich an agilen Prinzipen und Methoden orientieren.
Die größte Herausforderung dabei war, dass die Mitarbeiter ihre innere Haltung und Einstellung in Bezug auf die Kollegen aus der anderen Abteilung verändern und wieder gegenseitiges Vertrauen aufzubauen. Eine wichtige Maßnahme dazu war, das Incentive-Modell so zu verändern, dass der gemeinsame Erfolg stärker einfließt als der individuelle.
Der Transformationsprozess kam in Schwung, nachdem erste positive Erfahrungen mit den neuen Abläufen gesammelt wurden. Ein wichtiger Beitrag dazu waren regelmäßige gemeinsame „Reviews“ der Zusammenarbeit und internen Abläufe. Dabei wurde der Fokus immer wieder daraufgelegt, was bereits gelungen ist, um Erfolgserlebnisse sichtbar zu machen.
Wie in solchen Situationen häufig zu beobachten, haben sich einige Mitarbeiter schneller auf die neue Situation eingestellt. Andere haben sich schwerer damit getan, gewohnte Muster und „Feindbilder“ aufzugeben.
Letztendlich hat die Transformation zu einer deutlichen Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Vertrieb und Projektumsetzung und damit auch zu einer besseren Projektqualität und Kundenzufriedenheit geführt. Ganz reibungslos läuft’s immer noch nicht – aber dann wäre das Leben ja auch langweilig.
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