Die aktuellen Koalitionsverhandlungen bieten ein spannendes Lehrstück in Verhandlungstaktik. An einem kritischen Punkt angekommen, geht es nicht mehr nur um Inhalte, sondern auch um Machtverteilung. Drohgebärden nehmen zu, und ein Scheitern erscheint realistisch. Beide Seiten reagieren kontrolliert „verschnupft“.

Ein Schlüsselfaktor in jeder komplexen Verhandlung ist die Beste Alternative zur Verhandlungsübereinkunft (Best Alternative to Negotiated Agreement, BATNA), die im Buch: Das Harvard Konzept von Roger Fisher gut beschrieben ist.

BATNA beschreibt, was eine Partei hat oder tut, wenn eine Einigung in der Verhandlung gescheitert ist. Das bedeutet: Was mache ich, wenn der Plan A nicht aufgegangen ist?

Ein starkes BATNA, auch Plan B genannt, verleiht Verhandlungsstärke: Wer eine tragfähige Alternative hat, kann selbstbewusst auftreten und wird sich sehr genau überlegen, welche Zugeständnisse sinnvoll sind. In einer Interessenbasierten Verhandlung bestimmt die BATNA auch das Limit der Parteien, also wann die Parteien den Verhandlungstisch verlassen.

Welche Rolle spielt das Konzept der „Besten Alternative zur Verhandlungsübereinkunft“ bei den österreichischen Koalitionsverhandlungen?

Haben die Akteure der österreichischen Koalitionsverhandlungen dieses Konzept angewendet und ihre BATNA gut durchdacht? Lassen Sie uns die Verhandlungen aus dieser Perspektive analysieren.

Runde 1: Die Ausgangslage

Mögliche Verhandlungsstrategien der ÖVP:
Plan A – und damit die bevorzugte Alternative: Bildung einer Koalition mit SPÖ und NEOS. Diese ermöglicht gestalterische Macht und die Umsetzung großer Reformvorhaben.

Was sind die anderen strategischen Alternativen, und welche wurde als BATNA angepeilt?

  • Plan B: Koalition mit der FPÖ – Bedeutet eine schwächere Position als Juniorpartner,
  • Plan C: Neuwahlen – Risiko von Verlusten und Unsicherheiten.

Wie wir alle wissen, hat die ÖVP den Plan B als BATNA genutzt.

Mögliche Alternativen der SPÖ:
Plan A: Beteiligung an einer Dreierkoalition mit der ÖVP und den NEOS. Diese Variante hätte gestalterische Macht gegeben, um größere Reformvorhaben umsetzen

  • Plan B: Koalition mit der FPÖ (ausgeschlossen).
  • Plan C: Opposition.
  • Plan D: Neuwahlen mit ungewissem Ausgang.

Das Risiko, nicht in der Regierung zu sein, war der SPÖ bewusst und wurde auch offen als Beste Alternative der Partei kommuniziert. Die Art und Weise, wie es kommuniziert wurde, hat zumindest in meinen Ohren aber mehr als Drohung geklungen.

Verhandlungstaktische Einschätzung:
Die ÖVP hatte eine klare Präferenz für Plan A, doch dieser scheiterte.

Hätte das Verhandlungsteam sich auch mit dem Szenario, eine Koalition mit der FPÖ zu versuchen, ernsthaft auseinandergesetzt, wäre klar gewesen, nur ein interessenbasiertes Vorgehen, viel Investment in die Beziehungsebene und Kampf um das gemeinsame große Ziel wären wichtig gewesen, statt dem „Bazaring“, das auch in den Medien sichtbar wurde.

Durch die Arbeit über „Forderungen“ auf beiden Seiten (die Neos nehme ich in der Betrachtung aus), war bald eine Patt-Stellung erreicht, die mit Gesichtsverlust geendet hätte, oder mit dem „Umfallen“ einer Partei.

Klientelpolitik über dem großen Ganzen hat zum Scheitern geführt. Ist der Plan B die bessere Alternative? Das betrachten wir im nächsten Abschnitt.

Der Verhandlungsstil der SPÖ war hart und wenig flexibel und, wie in den Medien durchgesickert ist, auch auf persönlicher Ebene eher semi-professionell. Das Ergebnis? Die SPÖ schob sich selbst in die Opposition und reduzierte ihre Einflussmöglichkeiten drastisch. War dieser Plan C die „bessere Alternative“?

Runde 2: Die neue Ausgangslage

Die Perspektive der ÖVP

Nachdem der ursprüngliche Plan gescheitert ist, hat das Verhandlungsteam mit neuen Spielern den Plan B aus Runde 1 „gezogen.

Wie sich gerade in den letzten Tagen zeigt, ist der Spielraum, den die FPÖ der ÖVP zu lassen scheint, drastisch kleiner als vom ÖVP-Team erwartet. Das Vertrauen ist verspielt, der Umgangston wirkt rau, und nun scheint die ÖVP sich neu zu sortieren und wirklich ihr Verhandlungslimit zu suchen. – Blöd gelaufen….

Was ist jetzt das BATNA?

  • Plan B: Neuwahlen mit ungewissem Ausgang.
  • Plan C: Fliegender Wechsel zu SPÖ und NEOS (ohne Neuwahlen, aber fragwürdig).

Die Perspektive der FPÖ

Die FPÖ hat mit dieser Koalitionsverhandlung – so verfahren sie im Moment auch scheint –die vermutlich einmalige Chance, den Kanzler in Österreich zu stellen.

Die derzeitig machtdominierten Verhandlungen mit der ÖVP sind ein Ritt auf einer Rasierklinge. Das Arbeitsklima für eine Zusammenarbeit scheint zumindest im Moment mehr als vergiftet.

Was ist das BATNA der FPÖ:

  • Plan B: Neuwahlen – Ausgang unsicher und die Chancen auf eine absolute Mehrheit sind gering.

Verhandlungstaktische Einschätzung:

Ein Abbruch in Runde 2 ist zwar seit gestern kurzfristig vom Tisch, steht aber immer noch im Raum.

Neuwahlen würden die Karten neu mischen, aber die Ausgangslage für alle Parteien wahrscheinlich nicht grundsätzlich verändern. Das heißt, das Spiel würde von neuem beginnen, vielleicht mit anderen Spieler*innen, aber unter gleichen Voraussetzungen.

Für die ÖVP ist das wahrscheinlich die interessantere Alternative, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sie in einer zweiten Runde die Verhandlung mit der SPÖ als einzige andere Option und einem etwaigen dritten Partner „wirklich“ interessenbasiert führt, und auch die anderen Parteien sich darauf einlassen.

Ein Verhandlungsabbruch wäre für die FPÖ eher ein worst case, da es unwahrscheinlich ist, dass unter den derzeitigen Voraussetzungen nach einer Neuwahl ein neuerlicher Versuch einer Koalition mit der ÖVP eine Chance hätte, und eine absolute Mehrheit für die FPÖ scheint, doch unrealistisch.

Fazit aus Sicht professioneller Verhandlungstaktik

Das Verhalten der Verhandler*innen in Runde 1 – sowohl von ÖVP als auch von SPÖ war, aus Sicht professioneller Verhandlungen, sehr schwach.

Es wurde positionell verhandelt, reine Klientelpolitik, und offensichtlich hat jede Seite auf ein Wunder gehofft, dass man über Feilschen schon irgendwie zusammenkommt. Dass das persönliche Verhalten mancher Verhandler emotional dann auch die Türen geschlossen hat, hat das Scheitern nur noch beschleunigt.

Ob beide Seiten sich über die langfristigen Folgen Gedanken gemacht haben, und sich das Thema Plan B wirklich ernsthaft durch überlegt haben, stellen wir in Zweifel.

Das, was jetzt in Runde 2 passiert, ist verhandlungstaktisch mindestens ebenso erstaunlich, weil eigentlich genauso ungeschickt wie in Runde 1.

Der Wahlsieger FPÖ legt medienwirksam eine Verhandlungsführung an den Tag, die darauf abzielt, den Zweiten der Wahl zu demütigen bzw. in eine Art von „Unterwerfungssituation“ zu bringen. Aussagen darüber, dass man von den „Verlierern“ eine Anerkennung der Niederlage erwartet, und damit verbunden Zustimmung zu den Maximalforderungen, die die FPÖ auf den Tisch gelegt hat, sind, wenn sie ernst gemeint sind, ein verhandlungstaktischer Supergau.

Ein durchdachter Umgang mit BATNA ist essenziell – in diesen Verhandlungen scheint dieses Prinzip jedoch weitgehend ignoriert worden zu sein. Professionelle Verhandlungsführung bedeutet, Alternativen strategisch zu analysieren und bewusst einzusetzen.

Welches Szenario hätten Sie gewählt?

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