Thorsten Scheller beleuchtet in seinem Buch „Auf dem Weg zur agilen Organisation“ sämtliche Facetten von Agilität.
Unternehmen wurden lange Zeit als dauerhaft stabil angesehen und Produkte und Projekte wurden an die Unternehmensstruktur angepasst.
In einer Zeit in der viele rasche, unvorhersehbare Veränderungen passieren, ist es nicht mehr zielführend und zum Teil gar nicht mehr möglich, die Produkte dem Unternehmen anzupassen. Vielmehr ist es notwendig, die Produkte nach den Bedürfnissen der Kunden auszurichten.
Voraussetzung dafür ist eine entsprechende Haltung und ein neues Rollenverständnis. Unternehmen mit festen Organisationsstrukturen, denen es an Anpassungsfähigkeit fehlt, kommen in diesem unsicheren Umfeld immer stärker in Bedrängnis.
Das erste Kapitel beschäftigt sich mit den Besonderheiten der VUKA-Welt (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität), in der es keine festen Regeln, keine Gewissheiten und keine klar zu erkennenden Zusammenhänge gibt, also in einer Welt, in der alles möglich ist und in der sich heute das eine und morgen bereits das Gegenteil dessen zeigen könnte.
Mit Volatilität ist das Ausmaß von Schwankungen innerhalb einer kurzen Zeitspanne, z. B. von Preisen, Kursen oder ganzen Märkten gemeint, die weder vorhersehbar noch vorhersagbar sind.
Unsicherheit bezeichnet einen Zustand mangelnder Kenntnis, der Ungewissheit, der Unklarheit – einen Zustand also, der mit einem unbekannten Risiko behaftet ist. Kausale Ursache-Wirkungs-Beziehungen sind bekannt, jedoch nicht deren Eintrittswahrscheinlichkeiten.
Komplexität bedeutet, dass es nicht möglich ist, innere Zusammenhänge durch Analyse zu erkennen. Zur Analyse muss man ein System in seine Einzelteile zerlegen. Wird ein komplexes System in seine Einzelteile zerlegt, geht durch das Zerlegen genau der Teil der Eigenschaften verloren, der durch die Vernetzung der Einzelteile entsteht. Zudem sind diese komplexen Systeme zusätzlich adaptiv, d.h. sie zeigen ein besonderes Anpassungsvermögen an ihre Umwelt und können (aus Erfahrungen) lernen.
Ambiguität bezeichnet einen Zustand, in dem die kausalen Ursache-Wirkungs-Beziehungen nicht bekannt sind.
Was ist nun die Antwort auf die Erfordernisse der VUKA-Welt? Agilität – „Anpassen durch schnelles Lernen“. Agilität bedeutet Anpassungsfähigkeit, d. h. flexibel auf die Umwelteinflüsse zu reagieren und durch Erhöhung der Anpassungsfähigkeit das Überleben des Unternehmens zu sichern.
Methodisch lässt es sich in der VUKA-Welt mit kleinen Schritten in Form von Experimenten und durch schnelle darauffolgende Reflexion fortbewegen. Agiles Vorgehen versteht sich als ein iterativer und inkrementeller Prozess: schrittweise und aufeinander aufbauend wird ein Produkt oder eine Leistung in enger Kooperation und Einbindung des Kunden erstellt.
Voraussetzung für Agilität
„Allein das Anwenden agiler Methoden macht noch nicht agil!“
Um den Schritt in die Agilität setzen zu können, ist ein agiles Mindset notwendig. Dies bedingt in der Regel einen Wandel in der Kultur. Vertrauen und Verantwortung bilden die Basis für Zusammenarbeit und damit einhergehend muss ein neues Rollenverständnis etabliert und Platz für Kreativität geschaffen werden.
Wege für andere, neue Lösungen werden geschaffen und selbstbestimmtes sinnstiftendes Arbeiten tritt in den Vordergrund. Agiles Mindset setzt ebenso voraus, dass ein positives, anti-tayloristisches Menschenbild vorherrscht. Das Scheitern von agilen Projekten liegt oftmals daran, dass dieser Kulturwandel nicht oder nur teilweise vollzogen wurde.
Grundlage für all diese Überlegungen bildet das Agile Manifest, das 2001 von einer Gruppe von 17 Softwareentwicklungsexperten verabschiedet wurde. Darin sind die agilen Werte und agilen Prinzipien definiert. Obwohl sich dieses Manifest auf die Softwarebranche konzentrierte, sind die Inhalte auf andere Bereiche der Kopfarbeit anwendbar.
Agile Werte – das Fundament für Agilität
Vier agilen Werte bilden das Fundament für Agilität und beziehen sich auf die drei Bereiche: Mensch, Produkt und Anpassungsfähigkeit.
1. Fokus Mensch: Individuen und Interaktionen haben Vorrang vor Prozessen und Werkzeugen.
Reibungslos funktionierende Prozesse bilden zwar die Basis dieses Wertes, aber gleichzeitig werden die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter und des Kunden in den Fokus gestellt.
2. Zusammenarbeit mit dem Kunden hat Vorrang vor Vertragsverhandlungen.
Ein Vertrag kann nur die Grundlage für eine Zusammenarbeit sein. Die Leistung selbst kann nur in einem wertschätzenden Miteinander zwischen Kunden und Mitarbeitern erfolgen.
3. Funktionierende Leistung hat Vorrang vor ausgedehnter Dokumentation.
Hier wird der Fokus auf die Leistung gelegt. Die Kunden kaufen die Leistung und nicht die Dokumentation. Dennoch ist Dokumentation wichtig, um nachvollziehen zu können, was wann warum und wie gemacht wurde.
4. Reagieren auf Veränderung hat Vorrang vor strikter Planverfolgung.
Störungen haben Vorrang! In einem komplexen Kontext ist es nicht mehr möglich, einen erstellten Plan 1:1 umzusetzen. Agilität heißt, ganz klar zu planen, sich jedoch laufend dem anzupassen, was geschieht.
Agile Prinzipien
Im Agilen Manifest finden sich neben den agilen Werten auch die 12 agilen Grundsätzen wieder, die auf den agilen Werten aufbauen. Als Leitsätze für die agile Arbeit geben sie Hilfestellungen im praktischen Tun.
Prinzip1: Es hat höchste Priorität, den Kunden durch wertvolle Leistung zufriedenzustellen. Diese ist möglichst früh zu liefern, um auch vom Feedback des Kunden lernen zu können.
Prinzip 2: Anforderungsänderungen sind selbst in einem späten Entwicklungsstadium aufzunehmen, um den Kunden in seiner Wettbewerbsfähigkeit zu unterstützen.
Prinzip 3: Um die Leistung so nah wie möglich am Kunden erstellen zu können, wird schnell und in sehr kurzen Zeitspannen funktionierende Leistung geliefert.
Prinzip 4: Fachexperten und Entwickler müssen täglich zusammenarbeiten, um gemeinsam die beste Lösung für den Kunden zu finden.
Prinzip 5: Motivation der Mitarbeiter ist ein wesentlicher Faktor. Dazu muss ein entsprechendes Umfeld geschaffen werden.
Prinzip 6: Jede Form von Kommunikation innerhalb eines Teams wird ständig gefördert.
Prinzip 7: Für Fortschritt ist eine funktionierende Leistung die wichtigste Voraussetzung.
Prinzip 8: Eine nachhaltige Entwicklung wird durch eine Arbeitsgeschwindigkeit erreicht, die alle Beteiligten dauerhaft durchhalten können.
Prinzip 9: Exzellente technische Lösungen und gutes Design sind anzustreben.
Prinzip 10: Die Kunst besteht darin, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und nur das zu erstellen, was gebraucht wird.
Prinzip 11: Selbstorganisierte Teams bilden die beste Basis für die besten Lösungen.
Prinzip 12: Ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess wird durch ständiges Reflektieren und Anpassen gewährleistet.
Der letzte Teil des Buches beschäftigt sich mit der praktischen Umsetzung, wie man Agilität ins Unternehmen bringen kann. Dazu werden verschiedene Tools und Methoden vorgestellt.
Agilität passt nicht für jede Unternehmensform. Für Unternehmen im komplexen Umfeld ist Agilität die einzige Antwort auf die unsichere Situation. Kopierbare Rezepte bestehen freilich nicht, dies würde dem Prinzip der Agilität geradezu widersprechen.
Jede Organisation muss ihren eigenen, ihren ganz individuellen Weg finden.
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