Influential Leadership begegnet mir in der Literatur seit etwa 2013. Ich habe mir zur Beantwortung dieser Frage bewusst die „Teufelshörnchen“ aufgesetzt, um dieses Thema von einer kulturkritischen Seite zu beleuchten.
In der gängigen Führungsliteratur finden sich einige Prinzipien, die ein Influential Leader beherzigen sollte. Dazu zählen unter anderen: Vertrauen aufbauen, Enthusiasmus zeigen, aktiv zuhören und die Kommunikation fördern, andere unterstützen und die eigene Selbstreflexionsfähigkeit stärken. Die spannende Frage, die sich einem kritischen Geist hier sofort stellt, ist:
Was ist daran „influencing“?
Die genannten Prinzipien kann ich voll und ganz unterstützen. Sie sind für mich ein Bestandteil von Führungsverhalten, das ich heute bei jeder halbwegs erfolgreichen Führungskraft voraussetzen würde. Sucht man im Netz nach Definitionen für „Influential Leadership“ findet man Folgendes:
- „Ein influential Leader ist jemand, der durch starken Einfluss (im Gegensatz zu Zwang) effektive Ergebnisse erzielt, indem sich seine Mitarbeiter dafür entscheiden, ihm zu folgen, weil sie an ihn glauben und darauf vertrauen, dass der Leader sie zum gewünschten Ergebnis führen kann.“ (Mary Jane Mapes, US-Bloggerin, Leadership Coach)
- “The task of a leader is to get people from where they are to where they have not been”
(Henry Kissinger) - „Influential Leadership ist die Fähigkeit eines Leaders, andere zum Handeln anzuregen, indem er einfach die auf den Einzelnen zugeschnittenen Kommunikations- und Motivationsfähigkeiten beherrscht. … Alle Führungskräfte können Menschen dazu bringen, etwas zu erreichen, aber Influential Leaders bringen Menschen dazu, etwas erreichen zu wollen.“ (Neil Burgis, Leadership Coach)
- „Influential Leadership wurde als die Fähigkeit beschrieben, andere zu beeinflussen. Ein effektiver Leader bewegt die Mitarbeiter nicht unter Zwang, sondern indem er ihren Wunsch und ihre Überzeugung in der Vision und den Zielen, die der Leiter formuliert, zum Handeln bringt. Missbräuchliche Einflussnahme kann zu katastrophalen Folgen führen. Aber richtig gelenkt, kann ein positiver Einfluss große Veränderungen bewirken, da sich die einzelnen Aktionen an den Bemühungen der Gruppe orientieren, Gewinne zu erzielen, die exponentiell wachsen. Eine Führungskraft, die durch gezielte und bewusste Anstrengungen positiven Einfluss auf andere ausübt, wird Vertrauen aufbauen und zu einer echten Triebkraft für Exzellenz werden.“ (University of Florida, HR-Newsletter, basierend auf Steven Coveys Buch: Die Geschwindigkeit des Vertrauens)
Vergleicht man diese, zugegebenermaßen aus dem Internet übernommenen Definitionen, haben sie eine Gemeinsamkeit: „Leute dazu bringen, etwas zu tun, was gut für sie ist, bzw. für das Unternehmen, meist mit der Ergänzung: ohne es ihnen „anzuschaffen“, oder welche Worte dafür auch immer gewählt werden.
Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht – aber die Formulierung „jemanden zu etwas bringen“ ist für mich ein Synonym für Manipulation – auch wenn diese mit den besten Absichten und im Sinne des Unternehmenserfolgs passiert. Der Gedanke, dass diese Methode sehr amerikanisch geprägt ist, und ähnlich dem „Sandwichfeedback“, das seit den frühen 80er Jahren die europäische Führungs- und Trainingsliteratur überschwemmt hat, einzuordnen, drängt sich zumindest bei mir hier auf.
Was man natürlich nicht vergessen sollte – Influencing beschreibt eine Verhaltensweise. Die Führungskraft tut aktiv etwas, wenn sie „Einfluss nimmt“ – um nicht zu schreiben „beeinflusst“.
Wie funktioniert „Influencing“?
Zu diesem Thema hat sich Cialdini in seinem Buch „Influencing“ sehr eindeutig geäußert. Der amerikanische Psychologe hat schon 2001 sechs klassische „Influencing Strategies“ im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeit identifiziert, die, je nachdem, wofür der Gegenpart empfänglich ist, mehr oder weniger erfolgreich in der Anwendung sind.
Zumindest in den USA ist dieses Führungsverhalten Teil der „Influential Leadership“.
Die Influencing Strategies nach Cialdini:
Sympathie: Menschen mögen Leute, die sie mögen.
Als Führungskraft empfiehlt es sich, echte Gemeinsamkeiten zu suchen und aufrichtiges Feedback zu verteilen.
Reziprozität/Wechselseitigkeit: Menschen zahlen mit gleicher Münze zurück.
Als Führungskraft sollten Sie sich so verhalten, bzw. das tun, was Sie selbst zurückbekommen wollen.
Gruppenzugehörigkeit/Soziale Akzeptanz: Menschen tun das, was die Mitglieder ihrer sozialen Gruppe tun.
Als Führungskraft können sie den Einfluss sozial Gleichgestellter nutzen.
Commitment/Folgewirksamkeit: Menschen orientieren sich an klar abgegebenen Zusagen.
Als Führungskraft sollten Sie Ihr Wort halten und auch seitens des Unternehmens sollten Zusagen ausdrücklich, öffentlich und freiwillig erfolgen.
Autorität: Menschen beugen sich oft dem Urteil von Experten.
Als Führungskraft sollten Sie Sachverstand zeigen und sich den (fachlichen) Respekt der Mitarbeiter erarbeiten.
Temporary Shortage/ Knappheit: Menschen möchten mehr von dem, wovon sie nur wenig bekommen können.
Als Führungskraft kann man hier mit exklusiven Informationen punkten.
Diese Influencing Strategies klingen auf den ersten Blick und mit der auch im Harvard Business Manager genutzten Beschreibungen sehr erstrebenswert. Aber ich hatte ja schon versprochen, die Teufelshörnchen aufzusetzen und will hier auch die „schwarze Seite“ der Influencing Strategies betrachten.
Die „Dunkle Seite der Macht“
- Der Weg zwischen dem wirklichen Bemühen, mit den eigenen Mitarbeitern in Kontakt zu gehen, und „Sympathie“ zu erzeugen, ist nicht sonderlich weit. Wir wissen, dass Sympathie vor allem durch Ähnlichkeit entsteht. Wenn ich als Chef plötzlich den Kleidungsstil an meine Mitarbeiter anpasse, plötzlich die gleichen Hobbies pflege oder die gleichen Lokale aufsuche, ist die Suche nach „Gemeinsamkeiten“ wohl etwas übertrieben worden.
- Der Weg von: ich versuche das zu geben, was ich auch bekommen möchte – wie oben unter Reziprozität beschrieben, zu: Ich erzeuge Abhängigkeiten durch einen Gefallen, den ich dem Mitarbeiter erweise, oder durch bevorzugte Behandlung und fordere die Gegenleistung später ein ist ebenfalls nicht all zu weit.
- Sozialen Gruppendruck zu erzeugen ist ein bewährtes „Spiel“, das uns sehr oft in Projektteams begegnet – wir gegen die anderen. Es kann sich aber auch so ausdrücken, dass, wer sich den Ansichten des Leaders konform verhält, Zugang zu mehr Informationen als die anderen hat, besseres Equipment oder auch Karrierechancen. Man sieht, schon auch hier ist der Weg von positiver Einflussnahme zu echter Beeinflussung ist ein kurzer.
- Comittment ist etwas, das wir immer wieder als Anforderung an Mitarbeiter lesen. Für die Führungskraft ist, mit gutem Beispiel voran zu gehen, natürlich der „saubere“ Weg, andere einzuladen, dem eigenen Beispiel nachzueifern.
Manipulativ genutzt, zerteilt der Influential Leader ein großes Thema, von dem er fürchtet, dass die Mitarbeiter nicht „Ja“ dazu sagen, in mehrere kleine, die jedes für sich betrachtet nicht so dramatisch sind, und holt sich dafür das „Go“.
Nur sehr weitsichtige Mitarbeiter werden die Zusammenhänge bemerken und auch die Tragweite verstehen, die ihre Zusagen zu den Teilprojekten haben. Ist die Beziehungsebene zwischen Führungskraft und Mitarbeitern gut, ist Vertrauen da, wird das große Thema vielleicht nicht thematisiert – aber wehe, wenn nicht. Das Gefühl, über den Tisch gezogen zu werden, ist schnell da, und verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, ist extrem schwierig.
- Autorität manipulativ zu nutzen ist zwar immer noch möglich (sich zum Beispiel hinter „Vorstandsaussagen“ zu verstecken), allerdings wenig zeitgemäß. Viel spannender finde ich hier den Gedanken, dass sich der Leader zumindest mit dem Wissensstand von 2001 den „fachlichen“ Respekt der Mitarbeiter verdienen soll. 20 Jahre später würde ich hier anmerken, dass ich davon abraten würde, fachlichen Respekt als Führungskraft zu erwerben. Führung bedeutet führen und nicht Experte sein.
- Das Thema Knappheit ist das Prinzip von Cialdini, das am häufigsten manipulativ genutzt wird, ohne dass die Anwender es überhaupt bemerken. Die Mitarbeiter, die der Führungskraft näherstehen, bzw. die zum „inner circle“ gehören, bekommen schnellere und detailliertere Informationen, manches Mal auch „Top Secret“ -Infos, die anderen Mitarbeitern nicht zugänglich sind. Leicht begründbar durch Projekte, an denen diese „Top-Performer“-Gruppe arbeitet – ohne zu bedenken, dass dieses „Info-Hiding“ für die anderen Mitarbeiter einen schalen Beigeschmack erzeugt.
… und die Moral von der Geschicht‘?
- Jede Medaille hat zwei Seiten – als Führungskraft sollte ich mir dessen bewusst sein.
- Was hindert mich, falsch abzubiegen? Wohl nur mein eigenes Wertegerüst.
- Wo ist die moralische Grenze? Das kann jeder nur für sich selbst beantworten.
- Ist Influencial Leadership ein Führungsstil der Zukunft? Ich glaube, dass sich dieser Führungsstil mit agilem Arbeiten bzw. Arbeiten in hybriden Kontexten nicht wirklich verträgt.
In diesem Sinne – Führung ist lebenslanges Lernen.
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