Führungskräfte sind gezwungen, komplexe Rollenanforderungen zu erfüllen: Sie müssen unternehmerisch denken, Experte ihres Faches sein, ihren Mitarbeitern Orientierung geben, mit ihnen Ziele erreichen, sie fördern und zugleich Leistung einfordern.
Zu alledem sind
Führungskräfte auch noch selbst Mitarbeiter und Betroffene und haben
somit auch ihre eigenen Werte, Überzeugungen und Bedürfnisse. Diese
vielfältigen Rollen erfordern unweigerlich unterschiedliche, meist
gegensätzliche Anforderungen und sind Ursache für innere Konflikte,
Spannungen und Widersprüche. Es ist, als ob konträre Kräfte von
Teilpersönlichkeiten sich gegenseitig beeinflussen und Chaos statt
Konsens verursachen.
Es ist daraus die Metapher des ‚Inneren Teams‘ entstanden1,
die es ermöglicht, sich diese innere Zerrissenheit bildhaft
vorzustellen. Im Grunde schlagen in der Rolle einer Führungskraft vier
Herzen: das des Unternehmers, des Team-Coachs, des Experten und der
eigenen Person2.
- Der Unternehmer des inneren Führungsteams hat die Aufgabe, den wirtschaftlichen Erfolg seiner Abteilung oder Unternehmensbereiches sicherzustellen, auf die Ziele und Vision des Unternehmens auszurichten und das Team so zu führen, dass es einen wesentlichen Beitrag zum Erfolg des Unternehmens leisten kann.
- Der Experte ist Berater seines Faches und damit für die Planung sowie effektive und effiziente Ausführung reibungsloser Abläufe im Sinne der gestellten Aufgabe verantwortlich.
- Der (Team-)Coach ist verantwortlich für die Zusammenarbeit und die gezielte Weiterentwicklung und Förderung seiner Mitarbeiter. Er muss ein motivierendes Umfeld schaffen und seine Mitarbeiter fördern, um Bestleistungen erbringen zu können.
- Als Selbst betroffener Mensch ist die Führungskraft letztlich sich selbst verpflichtet – der eigenen Werte, Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Aus dieser Position heraus agiert die Führungskraft mit ihren individuellen Vorstellungen auf Basis ihrer Erfahrungen und erlangten Überzeugungen.
Der ‚selbst
betroffene Mensch‘ erfüllt keine Führungsaufgabe, beeinflusst aber
wesentlich alle anderen Mitspieler und ist somit Quelle innerer
Spannungen, Konflikte und Widersprüche. Sehen sich Führungskräfte häufig
gezwungen, gegen ihre eigenen Überzeugungen, Werte oder Bedürfnisse zu
handeln, ist dies ein direkter Angriff auf deren eigene Motivation und
führt unweigerlich zu Stress, Widerstand oder Zweifel.
Aber
nicht nur unerfahrene Führungskräfte, die sich ihrer Rollen und damit
verbundenen Aufgaben noch nicht voll bewusst sind, sondern auch
erfahrene Führungskräfte stellen die inneren Widersprüche immer wieder
vor die Herausforderung, klare Entscheidungen zu treffen.
Deutlich spürbar wird dies bei Führungskräften in ‚Sandwich Position‘.
Nämlich dann, wenn sie die Sichtweise des Unternehmens gegenüber den
Mitarbeitern vertreten müssen und oftmals selbst nicht voll
dahinterstehen können. Auch dann, wenn sie von ihren Mitarbeitern mehr
Leistung einfordern müssen, zugleich diese aber vor übermäßigen
Anforderungen von außen schützen sollen. Manch eine Führungskraft ist
dann geneigt, Aufgaben nicht mehr zu delegieren, sondern selbst zu
übernehmen. Sie läuft dadurch Gefahr, ihre eigene Leistungsgrenze zu
überschreiten und ihre Gesundheit zu gefährden.
Rollenanforderungen klären
Alle Führungsaufgaben und Anforderungen, die von außen gestellt werden,
insbesondere auch jene, die zu inneren Konflikten führen und die
Entscheidungsfindung erschweren, können aus Perspektive jedes einzelnen
inneren Teammitglieds betrachtet werden. Die unterschiedlichen
Standpunkte bekommen quasi ein ‚Gesicht‘ und können individuell
besprochen werden. Besonders bei schwierigen Entscheidungen, die unter
Umständen auch einen weitreichenden Einflussbereich haben, sind diese
Überlegungen sehr nützlich.
Für die eigene Reflexion können folgende Fragen hilfreich sein:
Aus Sicht des Unternehmers:
- Welche Erwartungen stellt das Unternehmen bzw. meine direkte Führungskraft an mich?
- Was sind meine Aufgaben als Führungskraft?
Aus Sicht des Experten
- Worin bin ich selbst Experte und worin meine Mitarbeiter?
- Was entscheide ich selbst, wann lasse ich meine Mitarbeiter entscheiden?
Als Team-Coach:
- Wie geht es meinen Mitarbeitern?
- Was brauchen sie – fachlich wie persönlich?
Eigene Person
- Was sind meine eigenen Werte und Bedürfnisse?
- Wie stehen diese in Konflikt mit dem Unternehmen und meiner Aufgabe als Team-Coach?
Teamentwicklung des inneren Führungsteams
Ist sich die Führungskraft bewusst, welche Anforderung jedes einzelne Teammitglied an sie stellt, so kann sie quasi als Moderater des inneren Teams eine Außenperspektive einnehmen, gezielt Stärken und Schwächen analysieren und eigenes Entwicklungspotenzial identifizieren. Durch regelmäßige Auseinandersetzung mit den Rollenanforderungen werden eingefahrene Muster aufgedeckt und langfristig aufgelöst.
Ähnlich wie im Umgang mit dem ‚realen‘ Team, wird auch das innere Team bewusst weiterentwickelt. Konflikte werden dauerhaft gelöst, was es ermöglicht, immer bessere Entscheidungen zu treffen, die auch im Einklang mit den unterschiedlichen Anforderungen des inneren Teams stehen.
Hierzu können folgende Fragen hilfreich sein:
- Wie kann und will ich mit Macht und Verantwortung umgehen?
- Wie bin ich Autorität ohne autoritär zu sein?
- Wie kann ich Konflikte so austragen, dass es auch zu mir als Person passt?
- Welche Themen fordern mich und wie soll ich mich orientieren, um langfristig motiviert zu bleiben?
1
Thun, F. S. von. (2013). Miteinander reden, Band 3: Das „Innere Team“
und situationsgerechte Kommunikation (26. Aufl.). Reinbek bei Hamburg:
Rowohlt Taschenbuch Verlag.
2 Fischer-Epe, M., & Reissmann, M.
(2017). Coaching zu Führungsthemen: Modelle und Anregungen für die
Praxis (1. Aufl.). Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag.
3 Fischer-Epe, M. (2017). Coaching: Miteinander Ziele erreichen. Rowohlt Verlag GmbH.
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