Ambidextrie – was ist das?

Gegensätze ziehen sich an, sagt man, doch sind sie ein nur fragiles Gebilde, wenn es an Verbindendem fehlt. Ambidextrie – der in der Biologie verwendete Begriff für Beidhändigkeit – ist das, was den Spagat schafft – zwischen alt und neu – zwischen bewahren und verändern.

Ambidextrie stammt aus dem Lateinischen, setzt sich aus „ambo“ für „beide“ und „dextra“ für „rechte Hand“ zusammen, sie bezeichnet die Fähigkeit von Menschen, mit beiden Händen komplexe motorische Tätigkeiten gleich gut verrichten zu können.

Den Blick gleichzeitig auf Gegenwart und Zukunft zu richten, gegensätzliche Anforderungen zeitgleich zu bewältigen, ist wichtiger denn je in Unternehmen. Mit der Beidhändigkeit eines Jongleurs werden Welten verbunden und entsteht an der Nahtstelle eine neue Kraft. Diese Kraft vereint das Beste aus beiden Welten zum gemeinsamen Optimum.

Der Druck nimmt zu

Evolution und Revolution finden in Unternehmen gleichzeitig statt. Zu dem Gewohnten, welches das Alltagsgeschäft bedient, tritt eine neue Welt, mit der das zukünftige Geschäft gesichert werden muss. Themen wie Digitalisierung, neue Technologien und Nachhaltigkeit beeinflussen die Unabdingbarkeit von Innovationen.

So wie beispielsweise in der Autoindustrie, wo neben dem bestehenden Kerngeschäft und den gut etablierten Prozessen der Fertigungsanlangen parallel echte Innovationen, wie die einer neuen Antriebstechnik, entwickelt werden müssen, um das Unternehmen auch in der Zukunft am Markt bestehen zu lassen. Um diese Gegenwart mit der Zukunft zu verbinden, braucht es Beidhändigkeit,

Es bedarf zwei unterschiedlicher Ausrichtungen, die Bewahrung und Weiterentwicklung des Bestehenden und die Notwendigkeit das Unternehmen rechtzeitig mit entsprechenden, bahnbrechenden Innovationen auf die Anforderungen der Zukunft auszurichten.

Häufig sind aus der Notwendigkeit des Neuen ausgelagerte Digi-Labs und Innovations-Labs entstanden, die sich jedoch grußteils nicht bewähren konnten. Die Distanz zum Kerngeschäft und insbesondere die Wiedereingliederung dieser Unternehmensteile, hat sich als schwierig erwiesen.

Ambidextrie kann sowohl in der Aufbauorganisation als auch im Führungsansatz ihren bewussten Niederschlag finden.

Organisationale Ambidextrie

Organisatorisch kann den gegensätzlichen Anforderungen der gegenwärtigen und zukünftigen Welt im Unternehmen mit einer Kombination von zwei voneinander unabhängigen Organisationsformen begegnet werden. Dies kann wesentlich wirkungsvoller sein als eine dominante Organisationsform, der sich eine zweite sozusagen unterordnet.

Ordnet sich eine Form der anderen unter, wirkt diese lediglich unterstützend, da sie auch die Interessen der übergeordneten Form umsetzen muss. Existieren diese Organisationsformen innerhalb einer Organisation jedoch unabhängig voneinander, können beide ihren eigenen Organisationsprinzipien folgen und sich dadurch autonom entfalten. Man spricht dann von organisationaler Ambidextrie.

So wird eine klassisch hierarchische Organisationsform mit klarer zentralistischer Verteilung von Aufgaben und Befugnissen dort eingesetzt, wo es darum geht, Prozesse am Laufen zu halten. Die Konzentration liegt auf dem Kerngeschäft, dem Bewahren von geschaffenen Strukturen und die Sicherung eines stabilen Umfelds. Häufig sind dies die Bereiche der „Cash Cows“, die das Unternehmen aktuell am Leben erhalten.

Neben den „Cash Cows“ ist mit Blick auf die Zukunft jedoch auch das Schaffen von „Stars“ und „Question Marks“ notwendig. Hier liegt der Fokus auf disruptiven Entwicklungen, um völlig Neues zum Leben zu erwecken. Für diese innovative Ausrichtung könne agile Organisationsformen mit autonom entscheidenden Teams die bessere Lösung darstellen.

Beidhändig gespielt, führen die hierarchische und die agile Organisationsform in Kombination mit jeweils eigener Autonomie zu den besten Ergebnissen.

Ambidextrie in der Führung

Führungskräfte bewegen sich ebenfalls in der Welt des Altbekannten bzw. des Alltagsgeschäfts und gleichzeitig in der Welt von Innovation, Unsicherheit und disruptiven Entwicklungen. Beide Welten stellen ganz unterschiedliche Anforderungen an das Führungsverhalten und den Führungsbedarf.

Beidhändige Führung verbindet diese Welten: sie sorgt für Stabilität einerseits und Flexibilität andererseits. Sie bewegt sich sicher in der Hierarchie wie im Netzwerk – jeweils situativ ideal.

Julia Duwe spricht in diesem Zusammenhang von „Transaktionaler Führung“ und „Transformationaler Führung:

  • „Transaktionale Führung“ ist in den Bereichen gefordert, wo es darum geht, das Bestehende optimal zu nutzen und kontinuierlich weiterzuentwickeln. Meist sind diese Bereiche von starkem Wettbewerb und Preiskampf geprägt, in der sich ein aufgabenorientierter Führungsstil, mit klaren Anweisungen und konkreten Vorgaben bewährt. Der Fokus richtet sich auf Maximierung des Outputs, Minimierung der Kosten, effizienten Einsatz von Ressourcen und Vornahmen der notwendigen laufenden Anpassungen.
  • „Transformationale Führung“ ist erforderlich, wenn sich der Blick in die Zukunft richtet, wenn Ideen und Ziele erst gemeinsam entwickelt werden müssen. Mit dem Fokus auf die Generierung von neuen Ideen und zukunftsfähigen Lösungen sind völlig andere Führungskompetenzen gefragt. Hier stellt die Schaffung einer Umgebung, in der kreatives Arbeiten möglich wird, um disruptive Innovationen zu ermöglichen, eine der zentralen Führungsaufgaben dar.

Eine der wichtigsten Aufgaben beidhändiger Führungskräfte, ist es, eine Kommunikationsstruktur zu schaffen, die über Hierarchieebenen hinweg einen Austausch über beide Geschäftsbereiche sichert.

Fazit

Die Ausnahmefähigkeit beidhändig begabter Menschen ist im übertragenen Sinne in der heutigen Unternehmenslandschaft zur breiten Notwendigkeit geworden. Es geht um Bewahren und Verändern: Optimierung von Bewährtem einerseits und bahnbrechende Innovationen für Zukunftsmärkte andererseits gehen sowohl in der Organisation als auch in der Führung Hand in Hand – beidhändig.

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